Managen Sie noch oder führen Sie schon?

NACH DER KRISE IST VOR DER KRISE: ERFOLGREICH FÜHREN IN TURBULENTEN ZEITEN

Auf dem OpEx Forum im Schloss Schwetzingen stellten sich knapp 100 Führungskräfte – überwiegend aus Unternehmen der Prozessindustrie – dieser Frage. Denn: In turbulenten Zeiten genügt es nicht mehr, Ressourcen möglichst effizient zu kombinieren (zu managen), sondern der Fokus muss auf Vision, Inspiration und Motivation der Mitarbeiter:innen liegen, um diese bei notwendigen Veränderungsprozessen mitzunehmen.

Dieser Aspekt wurde auf dem Forum sowohl in Impulsvorträgen und sich daran anschließenden Break-out Sessions intensiv vorgestellt und diskutiert. „Wir stecken zwar in einer Krise, aber haben auch viel Hoffnung, dass wir diese gestärkt hinter uns lassen“, konstatierte Unternehmensgründer und Inhaber Conor Troy die aktuelle Situation: „Als Führungskräfte sind wir zu besonderen Anstrengungen aufgerufen.“ Dr. René Pöltl, Oberbürgermeister der Stadt Schwetzingen unterstrich im Eröffnungsvortrag die Dramatik der aktuellen multidimensionalen Krise für Staat und Unternehmen und sprach in deren Folge von einer medialen und psychologischen Überforderung der Menschen: „Das bereitet mir mehr Sorgen, als die bisher eher punktuellen Krisen“, so Pöltl und forderte, dass auch der Staat alle Kräfte bündeln müsse, um Unternehmen zu unterstützen: „Ohne Wirtschaft und Industrie werden wir nicht das Geld für die notwendigen Veränderungen haben“.

Veränderungsdruck steigt – neue Führung gefordert

Welche Veränderungen notwendig sind und wie erfolgreich Unternehmen in der Prozessindustrie dabei sind, ermittelt Conor Troy Consulting (CTC) regelmäßig im OPEX INDEX – einem Industrie-Barometer für Operational Excellence. Nach den Corona-Jahren 2020 und 2021 hatte CTC hier einen deutlichen Anstieg der Aktivitäten verzeichnet. Doch während die Erwartungen der Betreiber an OpEx-Programme in 2022 gestiegen sind, zeigen sich die Hälfte der Unternehmen mit deren Ergebnissen unzufrieden. „Viele der OpEx-Programme werden mit zu vielen konkurrierenden Initiativen überfrachtet und es fehlt an Ressourcen, um die Programme durchzuführen“, stellt Conor Troy fest: „Zwei der drei wesentlichen Gründen für die schlechte Performance der OpEx-Programme lassen sich auf die Rolle der Führung zurückführen“, so das Ergebnis der Studie.

Dazu kommt, dass Betreiber und OpEx-Verantwortliche in den Unternehmen der Prozessindustrie damit rechnen, dass in den kommenden Jahren vor allem die demografische Entwicklung – beispielsweise durch das Ausscheiden der Baby-Boomer-Generation – die Ziele von OpEx-Programmen bestimmen werden. „Wenn demnächst bis zu ein Drittel der Mitarbeiter ausscheiden werden, brauchen wir eine neue Art der Führung“, so Conor Troy.

Wie diese aussehen kann, verdeutlichte Christian Seemann, Leiter Technische Site Services beim Chemiekonzern BASF: „Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern und ihrer Organisation in turbulenten Zeiten Stabilität geben. Dabei ist es enorm wichtig, viel und klar zu kommunizieren“, ist Seemann überzeugt und unterstrich: „Manager haben wir sowieso, jetzt kommt es auf Führung an!“. Dabei steigt, so Seemann, die Bedeutung weicher Themen, darunter Empathie, die Fähigkeit zu motivieren und Resilienz – die eigene, aber auch die der Mitarbeiter. „Gute und resiliente Führungskräfte machen den Unterschied im Wettbewerb“, ist Seemann überzeugt. So hat das Unternehmen sein Schulungsprogramm für Führungskräfte im Jahr 2023 auf den Aspekt Resilienz fokussiert. Mit einem Augenzwinkern zum eigenen Nachnamen verweist Seemann auf die Analogie zur Marine: „Jeder Aufbruch ist mit Risiken verbunden. Es ist wichtig, bei Veränderungen die Mannschaft mitzunehmen. Durch Kommunikation und Offenheit lässt sich verhindern, dass die Mannschaft meutert.“ Häufig – so eine Erkenntnis aus der sich anschließenden Diskussion – muss jedoch zunächst das Selbstverständnis der Führungskraft geklärt werden: Agiert diese als Vorgesetzter oder als Führungkraft? Erst wenn Führung der „Expertenfalle“ entflieht und sich dem Team-Gedanken verschreibt und die Kompetenz im Team stärkt, wird zukunftsgerichtetes Führen möglich.

Resilienz steigern

Wie wichtig Resilienz und Stabilität sind, unterstreicht auch die Production-Excellence-Beraterin Dr. Manuela Kummeter: „Zwischen 2012 und 2022 sind die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen um 48 % gestiegen“, berichtete Kummeter aus einer Studie der Krankenkasse DAK. Sie zeigte in Ihrem Vortrag und der anschließenden Break-out-Session auf, dass Diversität ein Schlüssel dazu ist, um Teams leistungsfähig zu machen. Kummeter betont ebenfalls die Bedeutung weicher Faktoren: „Führungskräfte müssen glücklich und inklusiv sein, um nachhaltigen Erfolg zu erzielen. Wir brauchen die Vielfalt für den Wandel.“

Auf welchen Säulen Resilienz aufbaut, zeigte Alexandra Schrader, HR Business Partner und Organisationsentwicklerin bei der Kuehlhaus AG. Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion bilden dabei die Basis. Weil resiliente Mitarbeiter weniger krank sind, bringen Resilienzprogramme im Unternehmen einen sich positiv aufschaukelnden Prozess in Gang. Ob solche Programme von den Mitarbeitern aber gewollt und angenommen werden, hängt von den Motiven des Unternehmens und dessen Führungskräfte ab: Geht es darum, die Leistung der Mitarbeiter zu optimieren, um den Druck weiter erhöhen zu können, oder um ehrlich gemeinte Gesundheitsfürsorge? Entscheidend für das Gelingen und die Akzeptanz von Resilienzprogrammen ist deshalb, ob eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen werden kann. Elementar ist zudem, dass die Führungskraft ein intrinsisches Interesse an Menschen hat – so der Konsens im Workshop zum Thema.

Operational Excellence muss radikal neu gedacht werden

Ein praktisches Beispiel dafür, wie schnell sich OpEx-Ziele verändern können, zeigte André Heisig, Mitglied der Geschäftsleitung beim Kunststoffhersteller Renolit: Das Unternehmen war in den Jahren der Corona-Pandemie durch den gestiegenen Bedarf nach Produkten für Eigenheim-Projekte voll ausgelastet. Inzwischen hat sich die Situation gedreht. „Operational Excellence unter Vollauslastung hat andere Herausforderungen als OpEx mit niedriger Auslastung. Wir müssen den Blickwinkel auf die bisher üblichen KPIs verändern. Operational Excellence muss radikal neu gedacht werden“, so Heisig. Thesen, die auch in der Diskussion mit weiteren Praktikern erhärtet wurden. So plädierten die Experten dafür, gute KPI beizubehalten und deren Bedeutung den Mitarbeitern immer wieder nahezubringen. „Die Kommunikation muss intensiviert werden“, so die OpEx-Experten. Digitalisierung kann dabei eine wichtige Rolle spielen, um Transparenz zu erzeugen. Und: Operational Excellence ist kein Projekt, sondern eine langfristige Aufgabe und sollte als solche Teil der Unternehmenskultur werden, die dazu führt, dass Strukturen, Organisation und Produktportfolio ständig hinterfragt werden.

Doch in allen Initiativen bleibt dieselbe Grundfrage: Wie können Veränderungen gelingen und wie lässt sich die Hürde „Das haben wir schon immer so gemacht“ überwinden? Dr. Karin Uphoff, selbständige Trainerin und Coach, zeigte auf, dass bis zu 80 % der Veränderungsprozesse in Unternehmen nicht gelingen. Sie scheitern an der Angst der Führungskräfte und Mitarbeiter vor Veränderungen, an schlechter Planung, Machtgehabe und vor allem an ungenügender Kommunikation. Führungskräfte sollten deshalb die Phasen der emotionalen Verarbeitung im Hinblick auf Veränderungen berücksichtigen: Die Schritte von der Vorahnung und Sorge über die Abwehr, Resignation und die Trauer, sich von liebgewonnenen Abläufen verabschieden zu müssen bis hin zur Öffnung für Neues und dem Selbstvertrauen in einer neuen Situation durchlaufen Betroffene in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Führungskräfte brauchen deshalb Geduld und sind gefordert, Raum zu geben für Ängste und Ärger. Und sie sollten das bisher Erreichte würdigen. „Wertschätzung ist ein Treiber für Veränderungen“, waren sich in der anschließenden Diskussion auch die Praktiker aus den Unternehmen einig.

Geheime Spielregeln und andere Hemmnisse für Veränderungen

Ein interessantes Schlaglicht warf der Organisationsberater und Psychologe Stefan Günther auf die Bedeutung von geheimen Spielregeln in Organisationen – denn diese stehen Veränderungen häufig im Wege. Ob informelle Netzwerke oder Einfluss von außen, der sich nicht aus Organigrammen ableiten lässt: häufig prägen geheime Spielregeln die Kultur von Unternehmen. Diese treten beispielsweise in Ausnahmesituationen oder bei kritischen Ereignissen zutage, wenn formale Regeln außer Kraft gesetzt werden. Wichtig sei es deshalb, in Veränderungsprozessen nicht nur auf den Status (KPI) zu schauen, sondern auf die Mechanismen, die diesen prägen. Erst wenn diese geheimen Spielregeln transparent gemacht werden, können diese auch verändert werden.

Spannend sind in diesem Zusammenhang auch die Ausführungen von Dr. Anna Granzh, die am Olympiastützpunkt Heidelberg Sportler psychologisch unterstützt: Sie zeigte sehr anschaulich, wie Sportler – und auch Führungskräfte – unter Druck Gelerntes vergessen und in alte Muster und Automatismen zurückfallen. Führungskräfte sollten sich deshalb bewusst machen, ob sie auch selbst eine wirksame Strategie für den Umgang mit Druck haben und diese auch aktiv trainieren.

Und noch ein weiteres, wenig beachtetes Thema wurde in Schwetzingen intensiv diskutiert: Die Folgen der bislang zu wenig berücksichtigte Datenlage zu Frauen in Führungsaufgaben. Auch hier greifen in der Praxis oft geheime Regeln der „Männerwelt“, die häufig zu einer systematischen Benachteiligung von Frauen in Unternehmen und in Führungspositionen führen. Dr. Nicole Meier und Nathalie Gelder, beide in Führungspositionen im Chemieunternehmen BASF, zeigten nicht nur anschauliche Beispiele für die Konsequenzen des „Data Gap“ zu Frauen und den Konsequenzen im Industrie-4.0-Zeitalter, sondern verdeutlichten, dass die in Zukunft von Führungsaufgaben geforderten Fähigkeiten der Zukunft typisch weibliche Kompetenzen sind.

Neue Ansätze in der Führungsarbeit fordert auch Oliver Brümmer, CEO bei The Hackathon Company: „Alte Glaubenssätze werden uns in der Führungsarbeit der Zukunft nicht voranbringen“, ist Brümmer überzeugt: So sollten Unternehmensleitung und Führungskräfte ihre Mitarbeiter und Subunternehmer nicht (mehr) als Ressourcen sehen, sondern als wertvolle Partner, die das Unternehmen prägen und vorantreiben können. Kontinuierliche Weiterbildung und Entwicklung sind künftig nicht mehr nette Extras, sondern entscheidend für den langfristigen Geschäftserfolg.

Kreislaufwirtschaft erfordert erweiterten Blick auf Operational Excellence

Unter den vier Megatrends Demografie, VUCA, Digitalisierung und Nachhaltigkeit, die Unternehmen aktuell zu Operational Excellence-Programmen motivieren, bildet Nachhaltigkeit zwar das Schlusslicht, doch langfristig führt daran – auch aufgrund des Marktdrucks – kein Weg vorbei. Dr. Thomas Wagner, Senior Consultant beim Beratungsunternehmen CMC2 zeigte die Bedeutung der OpEx in einer künftigen Kreislaufwirtschaft. Nicht mehr der Produktionsprozess alleine, sondern die gesamte Lieferkette muss dabei in die Überlegungen zur Optimierung einbezogen werden. Die Grundlagen dazu müssen jedoch zunächst geschaffen werden: Beispielsweise, indem Unternehmen Kennzahlen (KPI) für Nachhaltigkeitsziele definieren und den Anlagenzustand aufnehmen und verbessern.

David Scherpe, Segmentleiter Chemie beim Instandhaltungsunternehmen WISAG, berichtete über konkrete Projekte der Chemieunternehmen Covestro, Lanxess und BASF im Hinblick auf Wertstoffströme der Kreislaufwirtschaft und fokussierte den Aspekt Nachhaltigkeit in der Instandhaltung. Dazu gehört beispielsweise die Reparatur von Komponenten der Mess- und Regelungstechnik, die im Laufe der langen Lebensdauer von Industrieanlagen oft am Markt nicht mehr verfügbar sind. Sein Plädoyer: „Überlegen Sie für Ihren Verantwortungsbereich, wo Sie sich einbringen können, um die Nachhaltigkeitsziele Ihrer Organisation zu unterstützen.“

Fazit:

Auf dem OPEX-Forum 2023 im Schloss Schwetzingen wurde deutlich, dass sich das Verständnis für Führung unter den aktuellen und künftigen Herausforderungen der Industrie verändern muss. In schwierigen Zeiten ist nicht nur Management sondern aktive Führung gefragt, d.h. die Neujustierung von Zielen, deren Kommunikation zu den Mitarbeitern und deren Befähigung. Nur so lassen sich Veränderungsprozesse erfolgreich gestalten. Führungskräfte brauchen dafür vor allem soziale Kompetenzen, um in turbulenten Zeiten erfolgreich führen zu können.

Das nächste OPEX Forum findet am 7.11.2024 im Schloss Schwetzingen statt.